Texte

Dr. Christine Vogt, in: Christine Prause – Errores del corazòn. Projekt Kuba, Malerei von 2007 – 2008, Hrsg. Samuelis Baumgarte Galerie Bielefeld 2010,
S. 3 f.:
Es ist die Malerei, die von Anfang an die Arbeit von Christine Prause bestimmt, die Malerei als Frage zu Farbe und Form, zu Fläche und Raum, zu Hell und Dunkel. Das Motiv ist das Vehikel, das sich dienend dem größeren Zweck unterordnet, aber nie verschwindet. So gibt es immer einen Gegenstand, eine Szene, eine Begebenheit in den Bildern, die jedoch ohne weiteren Belang sind, austauschbar, rein den Anlass zur Malerei bieten. Früheren Bilderfolgen wie Bilbao, Nieper Gruppe oder Rotes Parkett lagen Gruppenkonstellationen und -situationen im privaten und öffentlichen Umfeld zugrunde. Aber auch Landschaft und städtische Umgebung boten häufig diese Anregung und Orte, auf Reisen kennengelernt, wie hier in der Kuba-Serie, können den Ausgangspunkt bilden. (…)

Jahrelang war der Pinsel ihr Werkzeug, um die Farbe auf die Leinwand zu bringen. In der Kuba-Serie ist es der Spachtel, der das Material in oft großen Zügen auf den Träger setzt. Wohl überlegt wendet die Malerin dabei ihr Werkzeug an, denkt die Bilder ins Vorhinein durch, komponiert Farben und Formen bereits im Kopf. Eine Korrektur der Schichten ist bei diesem Arbeitsverfahren nicht möglich – und nicht gewünscht. Die Züge und kurzen Striche, die Flächen und Linien müssen sitzen und ihr Zusammengehen auf der Leinwand beweisen.
Dabei wirken die Bilder alles andere als durch-ge-dacht und einer Vorlage entspringend. Eine große Dynamik, eine nahezu rasante Geschwindigkeit geht von vielen der Arbeiten aus. Von Spontaneität und Zufällen scheinen sie bestimmt und entstehen doch ganz aus dem Wollen der Künstlerin. Diese wagt es, den (Entstehungs-) Prozess zu bestimmen. Manche Bilder bleiben skizzenhaft stehen, zeigen große Weißflächen, scheinen sich noch im Prozess zu befinden. Andere sind „durchgearbeitet“ und dicht, zeigen Schichten und strahlen doch kein „Finito“ aus, sondern vermitteln ebenfalls das Prozesshafte.
Im Kuba-Projekt konfrontiert Christine Prause die BetrachterInnen höchst direkt und unmittelbar mit ihrer Bildwelt. Erstmals wählt sie für diese Arbeiten quadratische 2 Meter Leinwände. Wie der Spachtel als neues Werkzeug dient, ist es zum ersten Mal kein Hoch- oder Querformat, das allein durch seine Ausrichtung eine gewisse Spannung in die Kompositionen bringt, sondern das in allen Ausrichtungen gleiche Quadrat. Doch das wohl Prägendste dieser Serie ist die Aufgabe des üblichen Wandplatzes für das Bild und ein Hinwenden zum Objekt. In großen Kuben werden die 25 Bilder zu 5er Gruppen zusammen-gefasst. Dadurch erfahren die Malereien eine völlig neue räumliche Auffassung, ein Umschreiten in nur kurzer Entfernung wird notwendig, eine andere Erfahrbarkeit des Bildes findet statt. Und zusätzlich birgt jeder dieser Würfel ein Geheimnis. Das fünfte Bild, sozusagen das Dach der Installation, lässt sich nicht einsehen und verschließt sich so dem Zugriff durch den Betrachter.
Die untergeordnete Bedeutung der Motive in der Malerei Christine Prauses wurde bereits erwähnt, dennoch sind die Motive vorhanden. Sie machen häufig eine Art Metamorphose, eine Art Verwandlung durch. Menschengruppen können sich dabei wie Landschafts-formationen auftürmen, Bars zu Guckkastenbühnen mit großer Tiefe werden. Die vielen alten Autos, die bei uns als Oldtimer gelten und in Kuba zum normalen Straßenbild gehören, haben die Künstlerin besonders fasziniert und so tauchen sie dementsprechend zahlreich in den Bildern auf. Auch hier ist es keinesfalls eine konkrete Wiedergabe, sie steigern sich zu Bergen oder gehen in der Vegetation auf.
Wie mit einem Zoom herangeholt präsentieren sich manche der Szenerien. Bereits im Mittelalter wird dieses Stilmittel des „Close up“ verwendet, um den Betrachter möglichst nah mit der Darstellung in Berührung zu bringen. Bei Christine Prause steht man direkt vor dem Auto dieser anonymen Menschen, schaut in die verwischten Gesichter und ist einmal aufs Neue mit Fragen der Malerei nach Perspektive, Farbe und Form konfrontiert.
Eine Besonderheit findet am Kubus mit der „Bar am Meer“ statt. Der bereits erwähnte Zoom wird hier stufenweise eingesetzt und zoomt sich immer näher an die Gegebenheiten heran. Aus dem dominierenden Blau der „Gesamtansicht“ erarbeitet sich das leuchtende Orange einen immer größeren Stellenwert, um schließlich dem Detail des Schwarz zu weichen. Scheint auch der Abstraktionsgehalt der Bildmotive anzusteigen, ist es doch selbst im letzten Bild der Balken, der uns ein unfarbiges Farbspiel von Schwarz bis Weiß, über Grau und Blau eröffnet.
Und auch bei „Bar am Meer“ zeigt sich Prauses besonderer Umgang mit Form und Raum, der sich hier vor allem eigenwillig im Standmotiv der Kellnerin äußert. In anderen Werken wird er durch eindringliche Tiefenwirkung ersichtlich. „Bar“, das erste Bild der Kuba-Serie, nutzt dabei die Wirkung der Farbperspektive, die das „warme“ Orange nach vorn springen lässt und der Luftperspektive, die das Weiß als Horizont und somit als entferntesten Punkt lesbar macht. Auf der Arbeit „Terrasse“ scheint der Betrachter wie auf einer Art Balkon in das Bild hineinzugehen, geradezu hineingezogen zu werden. Die braun gefasste Architektur am rechten Bildrand wirkt wie eine Repoussoir-Figur und unterstützt den in die Tiefe schweifenden Blick.
Hier gilt es sich einzusehen, einzufinden und seinen Platz in den Bildern zu erfassen. Wie jedes Stück gute Malerei sind auch die Arbeiten von Christine Prause eine Art Schule des Sehens, die weit die Augen öffnen kann.

Alexandra Kolossa, Rede zur Ausstellungseröffnung im EUREGIO Kunstkreis Bocholt, 2005:
(…)
Der künstlerischer Ausgangspunkt ihrer Arbeiten ist die Faszination für ein Bild, meist eine Fotografie. Diese kann dem privaten Umfeld entnommen sein, oder aber dem kollektiven Gedächtnis, wie beispielsweise einer Tageszeitung. Wichtig ist ihr dabei nicht die Perfektion der Aufnahme, sondern die versteckten Qualitäten wie das Licht-Schatten-Spiel oder die Darstellung psychischer Dimensionen. Aus diesem Grund geht es Christine Prause in ihrer Arbeit auch nicht um eine möglichst realistische und perfekte Wiedergabe eines kleinen Ausschnittes der Welt, sondern um ihre souveräne Entscheidung, die bildhafte Umsetzung an jenem Punkt zu stoppen, an dem sie eine bestimmte Wirkung erreicht hat.

Einige Arbeiten tragen einen Titel. Diese sind lediglich als Einstiegshilfen für den Betrachter zu sehen. Nehmen wir das Bild mit dem Titel „Boot“ aus dem Jahr 2005, das als Motiv der Einladung zu dieser Ausstellung gewählt wurde. Auch ohne Titel ist die Thematik leicht verständlich. Eine Gruppe Segler auf ihrem Boot, eingepackt in dicke Jacken und umgeben von Segeln, Masten und zahlreichen Schnüren. Christine Prause friert den Eindruck eines Augenblicks ein. Sie stellt das genaue Sehen, das Beobachten von minimalen Verschiebungen in den Mittelpunkt ihrer Malerei. Ist das Motiv genau fixiert, stellt sie den künstlerischen Zoom ein, der den gewählten Ausschnitt genau definiert. Details fallen weg, Proportionen verschieben sich, die Farbpalette wird von Bild zu Bild leicht abgeändert.

Im Betrachter vermögen ihre Bilder einen besonderen Prozess auszulösen. Die vordergründig erkennbaren Motive erwecken eine große Bereitschaft, sich auf die Arbeiten einzulassen. Je tiefer wir eindringen in die Bildwelt von Christine Prause, desto weniger nehmen wir die äußere Hülle als vielmehr die darunter liegenden Strukturen wahr und legen eigene Empfindungen und Erfahrungen in diese Bilder. Auf diese Weise erschließt sich die Psychologie des Bildes und der Figuren.
Der scheinbaren Spontaneität und Unmittelbarkeit der Malerei geht eine intellektuelle und disziplinierte Entscheidung voraus. Der Entstehungsprozess für diese Bilder ist daher lang und kurz zugleich. Lang, weil sie erst einmal lange Zeit im Kopf der Künstlerin entstehen, kurz, weil sie schnell in einer Serie auf die Leinwand gebracht werden.
Christine Prause arbeitet sich regelrecht an einem Thema ab. Die Aufmerksamkeit gegenüber dem Sujet entwickelt sich weiter, viele Varianten entstehen. Dabei variieren nicht nur Größe und Farbe, sondern auch unterschiedliche Techniken. Mit ein und demselben Ausgangsmotiv erreicht sie über unterschiedliche Ausführungen differenzierte Ergebnisse.
Neben den Ölbildern überzeugt sie mit Spachtelbildern, die den Arbeitsprozess der Künstlerin nachvollziehbar machen. Gekonnt gesetzte Spachtelbewegungen ergeben eine narrative Oberfläche, die keine Fehler verzeiht. Der fragmentarische Habitus der Technik hebt zudem den Inhalt in eine andere Ebene.

Auf den ersten Blick thematisiert Christine Prause die Natur im weitesten Sinne, Landschaft, Atmosphäre und Vegetation. Untrennbar damit verbunden ist jedoch der Prozess der Wahrnehmung und deren Umsetzung, zwischen realer Natur und deren kultureller Adaption. Sie richtet ihr künstlerisches Augenmerk auf überlieferte Bildvorstellungen in Abstimmung mit den in der Realität vorhandenen Formenkonstanten und Sujets. Sie sichtet und prüft die ästhetischen Erfahrungen und die daraus resultierenden Erkenntnisse, und sucht nach einer Balance zwischen dem Motiv und der Struktur. Sie zielt darauf, das Motiv, das Gesehene zu übernehmen, Strukturen nachzuempfinden und neue zu entfalten. Der künstlerische Antrieb dabei ist der Zweifel an dem, was uns faktisch gegeben scheint. Die Bilder beschreiben nichts, sie erzählen nicht von bekannten Landschaften und Gegenden. Absichtlich werden alle identifizierbaren Merkmale weggelassen, Gesichter sind unlesbar, nichts Anekdotisches lässt sich festmachen.
Christine Prause fokussiert auf die allgemeinsten Merkmale einer Szene, einer Landschaft, eines Interieurs. Sie sucht nach archetypischen Mustern, die sie dann freisetzt. Ihre Bilder sind Projektionsflächen für Vorstellungen, für Gefühl, für Stimmungen, die der Betrachter in sie hineinlegt.
Darüber hinaus verfügen alle ihre Bilder über eine Besonderheit. Das Faszinierende in ihren Bildern scheint mir in der Ambivalenz aus Gegenstand und Abstraktion zu liegen, die allen Bildern eigen ist. Ihre Bilder verfügen gerade über soviel Struktur, das das menschliche Sehen daraus Formen und Gegenstände zuordnen kann. Bei längerer Betrachtung zerfallen diese Formen zugunsten tieferliegender Strukturen. Es erwächst daraus eine Ahnung, die sich beim Betrachten einstellt, dass beispielsweise die Landschaften Christine Prauses gar keine Landschaften sind, sondern das jene Landschaften hinter der vordergründigen landschaftlichen Folie abstrakte Gemälde sind. Ein scheinbares Paradoxon, das fasziniert und begeistert.
Es ist ein höchst spannender Weg, den die Künstlerin geht. Nutzen Sie die Chance, ihn ein stückweit mitzugehen. Wer sich darauf einlässt, kann unversehens bei sich selber ankommen.

Ursula Slomka in: Christine Prause – Bilder und Zeichnungen 1976 – 1992, Monographie, gefördert vom Institut für Lippische Landeskkunde Detmold, 1994, S. 6-8:
Christine Prause gibt in ihrer meist großformatigen Malerei dem Betrachter stets Hinweise, dass ihre Bilder etwas mit Abbildern zu tun haben, dass das Abgebildete einen Bezug hat zu einer außerhalb existierenden, dreidimensionalen, gegenständlichen Realität. Diese ist dem Betrachter als seine Lebensrealität geläufig. Es ist die sichtbare Welt, die er mit seinen Sinnen in unterschiedlicher Weise erfährt. Die Lebensrealität aber ist komplex und wird zudem durch die Subjektivität der menschlichen Welterfahrung vielfältig verwandelt. Die Uneindeutigkeit der Realitätswahrnehmung ist immer wieder ein Grund für das Hinterfragen dessen, was wirklich ist. (…)

Seit dem 19. Jahrhundert wurde die abbildhafte gegenständliche Malerei mehr und mehr abgelöst von einer zur Abstraktion und Ungegenständlichkeit tendierenden Auseinandersetzung. Die künstlerischen Bemühungen konzentrierten sich zunehmend auf den Realitätscharakter der Bildfläche selbst, auf Untersuchungen der bildnerischen Ausdrucksmittel, ohne diese noch dienstbar machen zu wollen für eine an Abbild und Gegenstand gebundene Malerei. Diese Freiheit und Ungebundenheit brachte der Kunst ein unerschöpfliches Vokabular an Ausdrucksmöglichkeiten bis hin zur Aufhebung und Auflösung ihrer sich selbst definierenden Normen.

Christine Prause hat diese Freiheit und führt sie in ihrer Malerei dem Betrachter vor Augen. Ihre Bilder sind abbildhaft mit einem hohen Grad an Abstraktion. Sie lassen im Pinselduktus die Spontaneität des Malvorgangs erkennen, haben aber gleichzeitig eine auf Farbe und Fläche bezogene strenge Ruhe. Die Motive konzentrieren sich auf Figuren oder Figurengruppen, ohne dass die Individualität einer Person über die malerische Eigenständigkeit der Bildfläche dominiert. Aus diesen Gegensätzlichkeiten ergibt sich eine Spannung, die sich nicht auflöst, sondern die Betrachtung der einzelnen Bilder zu einem nicht abgeschlossenen Prozess der Wahrnehmung macht. Die Offenheit ist ein sicherlich beabsichtigter Faktor, der auch den Malvorgang bei der Künstlerin bestimmt. Es ist bei vielen Bildern sichtbar, dass die Bildfindung beim Malen selbst geschieht, nicht aber die Realisation eines starren Konzeptes ist.

Die malerischen Ergebnisse sind in vielen Teilen für den Betrachter nachvollzieh- bar. Zwar geben sie nicht alle Geheimnisse preis, aber sie verhüllen auch nicht die Eigenartigkeit der Auseinandersetzung.
Der Weg zu diesem künstlerischen Standort läßt sich durch einige Beispiele genauer verdeutlichen. Er wird markiert durch Bilder, bei denen die Großformatigkeit zum Ausdrucksträger wird, durch Collagen, die eine überleitende Rolle spielen zur neuen Organisationsform von Motiv und Bildfläche und durch Motive, die das individuelle Interesse der Künstlerin an ihrer Lebensrealität beinhalten.

Der Schritt zur großformatigen Malerei vollzog sich bei dem Bild Kindergeburtstag (1978). Eine kleine Skizze wurde mit Hilfe des Dia-Projektors auf die 180×200 cm große Leinwand übertragen und diente als Vorzeichnung. Die ursprünglich in spontanem Gestus gezeichnete Skizze hatte durch die Vergrößerung jede Nähe verloren. Zwischen den einzelnen Strich- und Liniengefügen waren nun Leerflächen vorhanden, die für die malerische Weiterarbeit die eigentliche Herausforderung bedeuteten. Fläche und Farbe mussten neu organisiert werden. Der Gewinn dabei ist der offene, aus dem Malgestus abgeleitete Umgang mit Farbe, Linie und Fläche, der das Motiv nur noch mit wenigen, kraftvoll gesetzten Pinselstrichen berücksichtigt. Dem neugeschaffenen Bildorganismus ist das Motiv zugeordnet. Elemente der abstrakten Bildsprache treten deutlich in den Vordergrund. Eine klare, fast geometrische Flächentektonik stabilisiert als Bildfond ein dichtes Farb-Liniengefüge, das wiederum durch Hell-Dunkel und Richtungsbezüge gestalthafte Formen annimmt. Ganz nebenbei scheinen Licht und Schatten sich einzustellen, und obwohl kein konventioneller perspektivischer Raum angedeutet wird, entstehen Raumwerte zwischen den Figuren, die sich wechselseitig ihre autonome Präsenz ermöglichen.

Die Verselbständigung des Bildraums bleibt neben anderen Aspekten ein wichtiger Teil der Auseinandersetzung in den nachfolgenden Bildern. Auch hier ist die Lösung nicht eindeutig abstrakt, sondern bleibt stets im Spannungsverhältnis zwischen Motiv und Bildfläche. Als Motiv dient häufig ein Foto, eher ein Schnappschuss. Es handelt sich um Situationen, die für die Künstlerin eine persönliche Betroffenheit oder Erinnerung bedeuten. Dabei spielt die technische Qualität der Aufnahme keine Rolle. Das Foto wird in doppeltem Sinn zum malerischen Anlass. Es ist einmal der Bildinhalt selbst, der sich auf Personen und die mit ihnen verbundenen Erlebnisse bezieht. Es ist aber auch der formale Anlass, sei es eine besondere Lichtsituation, sei es eine überraschende Figur-Raum-Konstellation, was die unbestimmte Vorstellung für ein Bild hervorruft. Das Foto als Vorlage garantiert eine gewisse Ruhe und Stabilität. Liegt es erst einmal vor, bleibt es unverändert bei aller Zufälligkeit und Momenthaftigkeit des Motivs. Das wiederum ermöglicht der Künstlerin, sich auf ihre Spontaneität während des Malvorgangs einzulassen, die vor der Realität so nicht möglich ist.
Diese Erkenntis läßt sich am Beispiel Bildnis A.O.(1989) nachvollziehen. Das ursprünglich nach einem Modell gemalte Portrait wurde nach mehreren nicht befriedigenden Ansätzen radikal verändert. Da die malerische Aktion keine überzeugende Lösung brachte, wurden größere Zusammenhänge mit Papier überklebt und weiter übermalt, wodurch sich eine ruhige und souveräne Flächengestaltung einstellt. Die Collage diente hier als Mittel zur Unterstützung der Malerei. Bei genauem Hinsehen ist es jedoch eine konsequente Fortführung des schon früher vorhandenen Gegensatzes von klarer Flächengliederung und bewegtem Pinselduktus. Die Collage verdeutlicht explizit diesen Kontrast, hier zwischen Abstraktion und gestalthaftem Portrait, der als ein charakteristisches Element in vielen Arbeiten angesehen werden darf.

Die durch diese Collage gewonnene Bildstabilität findet in der Malerei ihren unmittelbaren Niederschlag. Das Bild PALS (1989) enthält keine erzählerischen Momente mehr, sondern ist ganz Konzentration auf das malerische Geschehen. Der Bildraum erfährt eine Öffnung in den Hintergrund und wird zur unbestimmten Zone jenseits der Leinwandfläche. Die Mitte ist klar definiert und bildet ein gestalthaftes Zentrum, das einen Zustand des Entstehens und gleichzeitig eine dynamische Endgültigkeit vermittelt. Es scheint, als hätten sich hier auf einem sehr schmalen Grat Abstraktion und figurale Gestaltung getroffen. Gleichberechtigt und gleichgewichtig führen sie dem Betrachter ihre reale Existenz vor, ohne dass die Frage nach ihrer Wirklichkeit noch gestellt werden müsste.

Der hier beschriebene künstlerische Standort ist kein endgültiger. Er erweist sich jedoch als sichere Basis für eine risikoreiche Auseinandersetzung, die das Ziel hat, sich auf die erfahrbare Lebenswirklichkeit einzulassen, ohne die Dynamik und Eigengesetzlichkeit des malerischen Ausdrucks dabei zu verfehlen.